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Neuer i-Punkt, altes Image
Stuttgarter Image
Die Landeshauptstadt hat einen neuen i-Punkt. Die äußere Betonoptik ist alles andere als ein Magnet. Alles, was viel Glas hat, gilt in Stuttgart ja fälschlicherweise als elegant, dabei langweilt die stetige Aneinanderreihung von Rechtecken. Mit dem Charme einer Waschstraße hat man dem Marktplatz keinen Gefallen getan, lehnt sich eher an den furchtbaren Breuninger-Bau an, als an die bunten Gebäude gegenüber. Identitätsstiftende Architektur funktioniert anders. Aber auch das Innenleben ist enttäuschend. Der Hauptbereich ist von drei Säulen verengt, was dem Erdgeschoss die Großzügigkeit nimmt, da hatte der alte i-Punkt ein deutlich besseres Raumerlebnis. Auch die Inseltheke war dort als Mittelpunkt schöner. Hatte man das alte Gebäude betreten, standen erstmal Prospekte und Informationen im Vordergrund, nun betritt man einen Souvenirladen und die Infos sind irgendwo hinten. Erst Verkauf, dann Information! Gefühlt gibt es jetzt noch mehr Mercedes und Porsche. Autos anstatt Lebenswert, das ist ein bisschen schade. Ich kenne viele Großstädte in Europa und war in vielen i-Punkten, wo man Geschichte, Lebensart und Sehenswürdigkeiten in den Vordergrund stellt. Stuttgart gehört zu den sonnigsten Großstädten Deutschlands, gilt als sehr lebenswert und hat viele Besonderheiten, aber das wird eher nebenbei lanciert. Ein altes Marketingproblem der Stadt. Man wirbt gerne mit großen Firmen.
Schön gemacht ist die kleine Kinoecke, wo schöne Bilder der Region laufen. Leider gibt es in dem Rund nur drei Polstersessel. Für eine vierköpfige Familie wird’s also gleich mal knapp. Schade ist auch, dass man in den Filmchen viele schöne Bilder sieht, die aber keine Untertitel haben. Ein Fremder kann die Gebäude und Parks also gar nicht geografisch zuordnen, zumal ja nicht nur Stuttgart, sondern auch die Region abgelichtet wird, was es noch diffuser macht. Überhaupt ist der i-Punkt in Stuttgart deutlich regionaler aufgestellt, als beispielsweise jene in den anderen größeren Städten ringsherum. Ein bisschen mehr Stuttgart wäre wünschenswert. Es wird für Märklin groß geworben, aber von den tollen Miniaturwelten gibt es nur ein paar dürre Faltblättchen. Das ist für mich symptomatisch. Das Planetarium, eines der größten seiner Art: Fehlanzeige. Erst recht passt nicht, dass der Europapark groß beworben wird, auch im Film. Der ist knapp 200 Kilometer weg. Was soll das also? Kommt nur derjenige zum Zug, der gut zahlt? In Augsburg wirbt man mit der Puppenkiste, in Berlin mit den Ampelmännchen, warum gibt es bei uns kein Äffle & Pferdle als Sympathieträger.
Stuttgarts schöne alte Viertel, die beliebten Treffpunkte, die Draußen-Mentalität, die hübschen Cafés, die wunderbaren Kirchengebäude, es fehlt gefühlt an vielem, vor allem am Verständnis für die eigene Geschichte. Die Stadt der 12 Schlösser und Schlösschen, die früher Unteradel, Grafen, Herzöge und Könige beherbergten, das alles kommt nicht vor. Römer? Kelten? Es gibt etliche Funde im Stadtgebiet, die aber im Gegensatz zu den meisten anderen Städten keine Rolle spielen. Stuttgart betreibt gerne Aufarbeitung der 12 bösen Jahre, aber blendet tausend Jahre aus. Das ist ein Missverhältnis.
Die Altstadt steht in Stuttgart symbolisch für den Umgang mit der Geschichte, denn sie ist hier ein seltsamer Begriff. Wenn ein Ortsfremder in die Altstadt möchte, wird er ins Rotlichtviertel geschickt. Ist der Fragestellende dann dazu auch noch ein Mann, dann mag gleich einer ahnen, warum er den Weg in dieses Quartier sucht. Doch Touristen, die von Schlössern, Markthalle und Oper gehört haben, möchten vielleicht einfach nur ins Zentrum, da in fast jeder anderen Stadt die Begriffe Altstadt und Zentrum gleichbedeutend sind. Tatsächlich ist die Altstadt um den Schillerplatz herum zu finden, der Keimzelle der Stadt, und das Schlösserviertel ist viel größer, als jenes um die Leonhardstraße. Altstadt, das ist eigentlich die dankbare Aneinanderreihung von Schloss-, Schiller- und Karlsplatz, flankiert von so markanten Gebäuden, wie der Markthalle, dem ersten Sparkassenhaus oder der Stiftskirche. Eine Stadt ohne Geschichte ist eine unwichtige Stadt, reduziert sie auf neuzeitliche Funktionen und Inhalte, die jedoch keine Neugier bei potenziellen Besuchern entfachen.
Stuttgart hat sich viel zu lange als Autostadt positioniert, viele andere Fakten stehen daneben im Schatten. Stuttgart als einer der größten Finanzstandorte Deutschlands, eine Medienstadt mit vielen prominenten Produkten, das alles taucht bei Stuttgart Marketing kaum auf. Selbst viele Stuttgarter wissen nicht, was für eine Wirtschaftsvielfalt die Stadt wirklich hat, dass die Drei Fragezeichen oder die Siedler von Catan aus Stuttgart kommen, der Räuber Hotzenplotz und das kleine Nachtgespenst. Auf Boden des heutigen Deutschlands hatte Stuttgart die allererste Orangerie, der ADAC wurde hier gegründet, und der DFB nach dem Krieg neu initiiert. Geschichte? Die Stadt ist voll davon, doch ignoriert ihre vielen Superlativen. Es wird Zeit dies zu ändern, im Marketing generell, im i-Punkt auch.